© Carolin Weinkopf
Plant³ im Gespräch mit Urte Zahn
Urte Zahn bringt als selbstständige Wirtschaftsberaterin und Business Coach einen breiten Horizont mit. Sie ist gelernte Landwirtin sowie studierte Betriebswirtin und Ingenieurin mit weitreichenden Erfahrungen im Bereich IT und Digitalisierung von Startups bis zum Großunternehmen. Als Vorsitzende des Plant³-Beirats prägt sie die strategische Steuerung und Entwicklung des Plant³-Bündnisses mit.
Frau Zahn, was ist Ihre ganz persönliche Vision von Bioökonomie?
Bioökonomie ist ein recht sperriges Wort, das wenig emotional wirkt und damit auch weite Teile der Gesellschaft nicht erreicht. Vielleicht nehmen wir lieber den Begriff der nachwachsenden Rohstoffe. Auch würde ich die Frage eher allgemein und ohne auf die Festlegung des Begriffs Bioökonomie beantworten. Aus meiner Sicht haben wir irgendwann die regionale Wertschöpfung aus nachwachsenden Rohstoffen aus den Augen verloren. Billige Produkte aus Niedriglohnländern überschwemmten den Markt. Wir haben sie gekauft. Das hat Preise für andere steigen lassen. Wir konnten einfach mehr kaufen. Das hat uns u. a. abhängig und verletzlich gemacht. Seit einigen Jahren nun gibt es den Trend – durch Covid19 verstärkt – zurück zu nachhaltigen und vor allem regionalen, resilienten Wertschöpfungsketten, den ich sehr begrüße. Nachhaltigkeit verstehe ich dabei im Sinne einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft. Resilienz beinhaltet für mich die Widerstands- und Anpassungsfähigkeit der Lieferketten.
Welche Chancen sehen Sie für die Region Vorpommern?
Vorpommern ist eine kleine Region, die einige interessante, lokale Gegebenheiten bzw. Eigenheiten mitbringt wie eben Land, Moor, Meer. Um diese zu verstehen, brauchen wir zum einen Menschen aus der Region, die sich hier auskennen und ihr Wissen einbringen. Wie wächst der Sonnentau? Welche Algenarten kann ich in Vorpommern kultivieren? Wo kann ich Hanffasern verarbeiten? Gleichzeitig können wir neue, wissenschaftliche Erkenntnisse aus der ganzen Welt mit diesem Wissen kombinieren. Beides ist noch kein Erfolgsgarant, denn es muss erst in wirksames Handeln übersetzt werden. Ich coache viele Startups – eine für mich interessante Beobachtung: internationale, diverse Teams brauchen zu Beginn zwar mehr Zeit, gemeinsame Werte auszuhandeln und eine eigene Vision zu entwickeln. Im Verlauf erweisen sich diese Teams aber als wesentlich robuster, flexibler und vor allem auch innovativer. Daher stellt Zuwanderung bei gleichzeitiger Integration für mich eine große Bereicherung dar.
Wo sehen Sie die größten Schwierigkeiten in der Umsetzung einer nachhaltigen biobasierten Wirtschaftsform?
Erstens, Infrastruktur hilft ungemein. Warum kann ich nicht innerhalb einer Stunde mit der Bahn von Berlin in Greifswald sein? Warum können Bahnhöfe nicht belebte Orte sein, wo ich gern ankomme und abreise, Dienstleistungen der Stadt in Anspruch nehme oder regionale Produkte kaufe? Warum gibt es nicht überall in Vorpommern schnelles Internet? Ich spreche hier noch nicht von 5G. Diese Liste kann ich noch weit fortführen. All dies zieht nicht nur Tourist*innen, sondern auch vielfältige Talente in die Region.
Zweitens, Bildung ist unsere Zukunft. Wir wissen so viel und gleichzeitig so wenig. Mein Lieblingsbeispiel ist der Wegerich. Den gibt es in Vorpommern zuhauf. Wenn uns eine Mücke sticht, gehen wir in die Apotheke und kaufen einen elektronischen Anti-Juckreiz-Stift für um die 10 EUR. Der Blattsaft des Wegerichs lindert den Juckreiz auch und kostet (fast) nichts. Warum wissen wir solche einfachen Dinge nicht? Wie können wir Kreislaufwirtschaft erlebbar machen? Wie können wir auf Algen neugierig machen? Wie riecht ein Moor?
Drittens, eine einfache Frage „Was hindert uns?“ Bequemlichkeit? Angst? Fehlende Partner oder Netzwerk? Finanzierung des Wandels? Fehlende Vision? Oder fehlen einfach die nächsten kleinen Schritte? Die Frage: Wie und wann werde ich wirksam? beschäftigt mich bereits lange u. a. bei den Friends4Future (wirksame Formate und Spiele für Klima und Nachhaltigkeit in der Gesellschaft) und im Berliner Urban Ideation Lab, wo wir derzeit die Ansiedlung von lokaler, urbaner Produktion im Herzen Berlins untersuchen. Diese und andere Erfahrungen bringe ich ebenfalls in Plant³ mit.
Was kann Ihrer Einschätzung nach Plant³ oder andere Initiativen in der Region erreichen?
WIR!-Bündnisse (WIR! = Wandel durch Innovation in der Region, Förderlinie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung) wie Plant³, ArtiFARM oder biogeniV können engagierte Menschen sowie Organisationen miteinander verbinden, die Politik beeinflussen und kommunikativ die Gesellschaft mitnehmen. Wir sehen schon heute, dass die Verbindung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft in der Region wächst, aber auch die Zusammenarbeit mit den anderen Bündnissen. So lassen sich die Chancen Vorpommerns besser herausarbeiten und gezielt unterstützen. Wünschenswert wäre auch eine zunehmende Einbindung der Einwohner*innen. Das fördert die Identität mit und in der Region.
Vielleicht passen an dieser Stelle auch ein paar Worte zu unserem lebhaften, zehnköpfigen Beirat. Dieser bringt viel Wissen, Erfahrung und auch Netzwerk ein, von dem auch die jeweiligen Projektteams profitieren, aber wir auch voneinander lernen. Als Beispiel wäre hier die Unterstützung bei der Suche nach geeigneten Moorflächen zu nennen.
Was bedeuten die regionalen Entwicklungen in der Plant³-Region im nationalen und internationalen Kontext?
Produkte, die einmal aus diesen Projekten entstehen, können z. B. als eine Art Blaupause verfügbar werden oder – wo sinnvoll – als Open Source in anderen Regionen genutzt werden. In manchen Projekten werden auch Patente entstehen, die wiederum lizensiert werden können.
Alles in allem kann aus der Plant³-Region neben der regionalen, zugleich robusten und resilienten Wertschöpfung auch eine Strahlkraft im Inneren entstehen, die eine Anziehung nach außen ausübt. Dazu müssen wir die kleinen Geschichten erzählen, wie die essbare Alge im „Alge-mein-Brot“ mit Sanddorn-Marmelade aus der Land-Moor-Meer-Challenge.
Frau Zahn, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch!
Kontakt
Urte Zahn
Serial Entrepreneuerin und Plant³-Beiratsvorsitzende
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