© Dr. Sabine Wichmann
Plant³ im Gespräch mit Dr. Sabine Wichmann
Dr. Sabine Wichmann hat für ihre Dissertation den Nachhaltigkeitspreis 2022 der Universität Greifswald erhalten. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Allgemeine Volkswirtschaftslehre und Landschaftsökonomie der Universität Greifswald und hat in ihrer Dissertation die Wirtschaftlichkeit von Paludikultur und die Möglichkeiten zum Anbau und zur Vermarktung von nachwachsenden Rohstoffen aus wiedervernässten Mooren untersucht.
Frau Wichmann, Sie haben sich in Ihrer Dissertation vor allem auf Schilf und Torfmoos konzentriert – warum genau auf diese beiden Pflanzen?
Dr. Sabine Wichmann: Für Paludikultur – also die produktive Nutzung von nassen und wiedervernässten Mooren – gibt es ja ganz unterschiedliche Möglichkeiten. Schilf und Torfmoos repräsentieren dabei sehr gut das mögliche Spektrum von Paludikultur. Das sind zum einen die unterschiedlichen Wuchsbedingungen: Schilf ist typisch für die nährstoffreicheren Niedermoore, während Torfmoose in Hochmooren unter nährstoffarmen Bedingungen wachsen. Zum anderen bietet Paludikultur sowohl traditionelle als auch neue Lösungen: Schilf ist seit Jahrtausenden bis heute eine als Baustoff genutzte Feuchtgebietspflanze, während der Einsatz von Torfmoosen als Torfersatz im professionellen Gartenbau ein innovativer Ansatz ist. Dabei unterscheiden sich die Beispiele auch hinsichtlich der Produktionskosten. Die Ernte von Schilfbeständen, die sich bei höheren Wasserständen von allein per Sukzession etablieren, ist ein „low input“-Verfahren. Die gezielte Etablierung von Torfmooskulturen auf ehemaligem Grünland ist hingegen mit höherem Investitions- und Managementaufwand verbunden. Nicht zuletzt habe ich die Wirtschaftlichkeit von Schilf und Torfmoos genauer untersucht, weil es hier jeweils einen bestehenden Markt gibt und wir wissen, wie Kultivierung, Ernte und Verarbeitung funktionieren.
Welche Chancen sehen Sie in der Nutzung von Schilf und Torfmoos für die Region Vorpommern ökologisch, ökonomisch und gesellschaftlich?
Dr. Sabine Wichmann: Moore wurden über Jahrhunderte trockengelegt, insbesondere für eine landwirtschaftliche Nutzung. Heute wissen wir, dass die Entwässerung der Moore nicht nachhaltig ist. Hohe Treibhausgasemissionen, Nährstoffausträge, Bodensenkung und -degradierung erfordern ein Umdenken in der Moorbewirtschaftung. Paludikultur bietet die Chance, Moorböden wiederzuvernässen und eine produktive Nutzung aufrechtzuerhalten.
Schilf ist für die Niedermoore in Norddeutschland eine etablierte Alternative. Die Reet- bzw. Rohrdachdeckerei ist anerkanntes immaterielles UNESCO-Kulturerbe. Vorpommern ist der Hauptlieferant für einheimisches Schilf. Allerdings kann durch die Schilfernte in Deutschland nur ca. 15% des Bedarfs gedeckt werden. In gleichem Umfang wird Schilf aus China importiert, was für einen ökologischen Baustoff natürlich absurd ist. Der Großteil des hier verwendeten Schilfs stammt aus Südosteuropa. Interessant ist, dass die Marktpreise im Grunde gleich sind, die hohe Importrate aber auf die Verfügbarkeit zurückgeht. Die durchaus bestehende Nachfrage nach regionalem Schilf kann auf Grund der Entwässerung von Feuchtgebieten und der stark eingeschränkten Nutzung verbliebener Röhrichte nicht gedeckt werden. Die Kultivierung von Schilf auf wiederzuvernässenden Mooren bietet daher eine große Chance, sowohl die verfügbare Menge von Schilf zu verbessern als auch durch gezielten Anbau und regionale Lieferketten eine hohe Qualität zu gewährleisten. Dank der Rohrwerber sind in Vorpommern Know-How und Spezialtechnik für Paludikultur bereits vorhanden. Neben der Verwendung auf den Dächern wird Schilf auch zu Dämmplatten, Putzträgern oder Akustikelementen verarbeitet. Auch innovative Anwendungen wie die Nutzung der spezifischen 3D- Silicium- Nano-Struktur der Schilf-Blätter für Hochleistungs-Lithium-Ionen-Batterien werden untersucht.
Die Kultivierung von Torfmoosen ist sowohl eine nachhaltige Landnutzungsalternative für degradiertes Hochmoorgrünland als auch der Schlüssel, um fossilen Torf auch im professionellen Gartenbau zu 100% zu ersetzen. Dabei ist der Anbau von Torfmoosen insbesondere für das hochmoorreiche Niedersachsen relevant. Auch die Substrat- und Erdenwerke, die nach wie vor hauptsächlich mit Torf arbeiten, konzentrieren sich dort. Die Verwendung von Torfmoosen als hochwertiger Torfersatz hat dann jedoch auch für Vorpommern Bedeutung.
Wo sehen Sie die größten Schwierigkeiten auf dem Weg zu einer stärkeren Nutzung dieser Rohstoffe?
Dr. Sabine Wichmann: Für Schilf und Torfmoose sind Verwertungsoptionen und Märkte ja bereits etabliert, aber die Nachfrage nach regionalen Rohstoffen kann nicht gedeckt werden. Daher ist hier die Ausweitung der Produktionsflächen die entscheidende Herausforderung. Bisher verhinderten die agrarpolitischen und rechtlichen Rahmenbedingungen die Etablierung von Paludikulturen auf landwirtschaftlichen Nutzflächen. Stichworte sind die Förderfähigkeit als Landwirtschaft, die Gebote zum Grünlanderhalt, die Honorierung der Umwelt- und Klimaleistungen, eine Investitionsförderung für Wiedervernässung und Umstellung auf Paludikultur. Die neuen Vorgaben zur Gemeinsamen Agrarpolitik der EU ab 2023 sind ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber nicht ausreichend um die Flächenverfügbarkeit zu verbessern. Speziell bei den Torfmoosen ist zusätzlich das Pflanzenmaterial, welches zur Neueinrichtung von Torfmooskulturen benötigt wird, nur sehr begrenzt verfügbar. Bei anderen Paludikulturen, insbesondere Nasswiesen, sind Flächen und Biomasse hingegen in großem Umfang vorhanden, es mangelt jedoch an der nachgelagerten Aufbereitung und verbindlichen Abnehmern.
Was ist Ihre ganz persönliche Version von einem bioökonomischen Wandel in der Region?
Dr. Sabine Wichmann: Unsere Region ist reich an landwirtschaftlich genutzten Mooren und diese werden eine zentrale Rolle für die Bioökonomie spielen. Heute sind viele dieser Flächen durch einen geringen Viehbestand ohne nennenswerte betriebliche Wertschöpfung gekennzeichnet. Gleichzeitig ist Vorpommern-Greifswald deutschlandweit der Landkreis mit den höchsten Gesamtemissionen aus entwässerten Mooren. In Mecklenburg-Vorpommern verursachen die trockenen Moore ca. 30% aller Treibhausgasemissionen des Landes. Hier besteht also eine große Verantwortung und ein besonderer gesellschaftlicher Handlungsbedarf. Wiedervernässte Moorflächen können für die Produktion nachwachsender Rohstoffe zum Ersatz fossiler Ressourcen entwickelt werden, ohne in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion zu treten. Neben Schilf sind für Paludikulturen viele andere Arten wie z.B. Seggen, Rohrglanzgras, Rohrkolben, auch Baumarten wie Erlen oder Kräuter als Heilpflanzen geeignet. Die Biomasse hat jedoch oft eine geringe Transportwürdigkeit. Daher spielt eine dezentrale Verarbeitung und der Aufbau einer regionalen Veredlung der Rohstoffe eine zentrale Rolle, um das Potential von Paludikultur zu erschließen. Die Entwicklung regionaler Abnahmestrukturen würde Moorlandwirten Anreize für die Umstellung ihrer Bewirtschaftung geben. Für die Pioniere können auch kooperative Strukturen oder Vertragsanbau erforderliche Investitionen und Risiken verteilen und Planungssicherheit schaffen.
Frau Wichmann, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch!
Dr. Sabine Wichmann
Lehrstuhl für Allgemeine Volkswirtschaftslehre und Landschaftsökonomie
Soldmannstraße 15
17487 Greifswald
Mail: wichmann@uni-greifswald.de
Web: https://rsf.uni-greifswald.de/lehrstuehle/wiwi/avwl/lehrstuhl-beckmann/personen/sabine-wichmann/