Plant³ im Gespräch mit dem Team von „NaGeWe-Bio“
Seit der Vorbereitungsphase von Plant³ sind Prof. Dr. Daniel Schiller, Plant³-Bündnissprecher und Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialgeographie an der Universität Greifswald, und Rolf Kammann, zunächst als Geschäftsführer der Wirtschaftsfördergesellschaft Vorpommern mbH und jetzt als Inhaber des Beratungskontors Rolf Kammann, miteinander im Gespräch über die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung der Region. Nachdem Prof. Schiller sein Projekt zur regionalen Innovationsanalyse soeben abgeschlossen hat, werden er und Lina Singelmann zusammen mit Rolf Kammann und Katja Gallinwoski erarbeiten, wie ganzheitliche Nachhaltigkeitschecks für die Geschäftsmodelle einzelner Unternehmen einerseits und für die Bewertung regionaler Entwicklungen andererseits aussehen können.
Zur gefühlten Halbzeit der WIR!-Förderung für das Plant³-Bündnis haben wir uns für Sie mit dem NaGeWe-Bio-Team unterhalten:
Herr Schiller und Herr Kammann, Sie waren beide in der Vorbereitungsphase für Plant³ mit dabei. Welche Entwicklungen haben Sie seitdem beobachtet, die die Transformation hin zu einer umfassenderen und hochwertigeren Nutzung regionaler Rohstoffe in der Region befördern bzw. hemmen?
Daniel Schiller: Das Innovationsfeld Bioökonomie hat seit Beginn der WIR!-Förderung innerhalb und außerhalb unserer Region weiter an Dynamik gewonnen. Innerhalb der Region wurden viele neue Aktivitäten gestartet: Unternehmensgründungen, Re-Orientierung bestehender Unternehmen, Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, Einbindung der Gesellschaft, neue Forschungsschwerpunkte und ein Bioökonomie-Studiengang an der Universität Greifswald. Darüber hinaus wurden in der zweiten Runde der WIR!-Förderung weitere Bündnisse in der Region gefördert, die mit der Agrartechnik und der energetischen Verwertung von Biomasse einen engen Bezug zur Bioökonomie haben. Vor diesem Hintergrund ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um Tools zu entwickeln, mit denen wir die Wechselwirkungen zwischen Bioökonomie und Nachhaltigkeit in unserer Region bewerten können.
Rolf Kammann: Das sehe ich genauso. Es ist erfreulich zu sehen, was sich in Bezug auf Bioökonomie und Nachhaltigkeit in der Region in den letzten Jahren getan hat. Nachhaltigkeit ist ein topaktuelles Thema für die Wirtschaft und Bioökonomie hat per se einen starken Nachhaltigkeitsbezug. Dennoch muss man attestieren, dass es gerade im Plant3-Bündnis gelungen ist, ein starkes regionales Netzwerk aufzubauen, spannende Projekte zu initiieren und so einen spürbaren regionalwirtschaftlichen Impuls zu setzen. Das zeugt von hoher Bereitschaft von Unternehmen, Wissenschaft und sonstigen regionalen Akteuren aber auch von einem guten Netzwerkmanagement. Für die Region bietet sich somit die Chance, breit getragene Innovationen in starken Kooperationsstrukturen voranzutreiben und damit einen maßgeblichen Beitrag zur strukturellen Wirtschaftsentwicklung zu leisten.
Welche Ergebnisse der regionalen Innovationsanalyse tragen Sie in die weitere Entwicklung des Plant³-Bündnisses hinein?
Lina Singelmann: Anhand der zweiten Befragungsrunde von regionalen Bioökonomie-Unternehmen sowie entsprechenden Arbeitsgruppen an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen konnten wir herausfinden, dass das Thema Nachhaltigkeit einen sehr hohen Stellenwert in der Region einnimmt. Auch wurde deutlich, dass die regionalen Akteure insbesondere in der Erhaltung der Ökosysteme sowie dem Aufbau von neuen Wertschöpfungsketten durch die Bioökonomie die größte Bedeutung sehen. Die Akteure der Region verfolgen also vorrangig eine Bioressourcen-Vision, wohingegen die Bioökonomie in anderen Regionen eher von einer technischen Perspektive dominiert wird.
Rolf Kammann: Genau das ist in einer agrarisch geprägten Region, in der die Verarbeitung von Rohstoffen eine starke Verwurzelung hat, ja zu erwarten gewesen, aber gleichzeitig rücken Themen wie Klima- und Ressourcenschutz immer stärker in den Vordergrund der politischen und gesellschaftlichen Debatten. Unterschiedlichste Wirtschaftszweige geraten dabei gleichermaßen unter Handlungsdruck, können aber auch Chancen nutzen, ihre Geschäftsmodelle zukunfts- und wettbewerbsfähig zu gestalten. Wir möchten mit unserem Projektbeitrag von NaGeWe-Bio den Unternehmen, aber auch den regionalen Entscheidungsträgern, aufzeigen, wie die Transformation regionalwirtschaftliche und einzelbetriebliche Fortentwicklungen zum Nutzen aller ermöglichen kann. Dazu wollen wir Mess- und Erfolgskriterien bestimmen und anwendbar gestalten, anhand derer wirtschaftlicher Erfolg und regionale Entwicklung bewertet werden können.
Lina Singelmann: Im Rahmen der Weiterentwicklung der Innovationsstrategie wurden dazu vier Fokusfelder (Baumaterialien, Lebens-, Nahrungsergänzung- und Futtermittel, Biokunststoffe & Verpackungen, Feinchemikalien & Phytopharmaka) identifiziert, in welchen ein besonderes Potenzial für den innovationsbasierten Strukturwandel besteht. Eine Bewertung dieser Fokusfelder hinsichtlich ihres Beitrags zum regionalen Strukturwandel und zur Nachhaltigkeit gibt es bislang weder für die damit verbundenen Wertschöpfungssysteme noch für die damit zugrundeliegenden Geschäftsmodelle. Der Bedarf an einer Nachhaltigkeitsbewertung wurde auch anhand der zweiten Befragungsrunde deutlich. An dieser Stelle soll das Projekt NaGeWe-Bio anknüpfen.
Frau Singelmann und Frau Gallinowski, würden Sie uns die Nachhaltigkeitschecks, die Sie nun gemeinsam entwickeln, genauer beschreiben?
Lina Singelmann: Das übergeordnete Ziel des Projekts ist es, einen ganzheitlichen Nachhaltigkeitscheck für Geschäftsmodelle und Wertschöpfungssysteme in Bioökonomieregionen zu entwickeln. Diesen wollen wir zunächst anhand der Plant3-Projektregion erproben. Der Nachhaltigkeitscheck wird in Form eines Kriterienkatalogs auf der Ebene von Wertschöpfungssystemen und Geschäftsmodellen entstehen. Hierbei entwickeln wir die Kriterien auf Basis der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit.
Katja Gallinowski: Für die Entwicklung dieses Katalogs haben wir zunächst die Kriterien bereits vorhandener Nachhaltigkeitsbewertungssysteme herangezogen. Die verwendeten Prüfkriterien bewerten wir nun hinsichtlich ihrer Eignung und Übertragbarkeit auf die Bioökonomie und erfassen gleichzeitig die unternehmerischen und regionalen Anforderungen an Nachhaltigkeitschecks.
Lina Singelmann: Hierbei wollen wir insbesondere die Merkmale strukturschwacher ländlicher Regionen berücksichtigen, denn in diesem Bereich soll auch das Alleinstellungsmerkmal unseres Nachhaltigkeitschecks liegen. Es gibt bereits einige Nachhaltigkeitsbewertungssysteme, jedoch fokussieren sich diese vor allem auf die globale und nationale Ebene. Unser Ziel ist es, die Wirkungen für den regionalen Strukturwandel explizit in die Bewertung mit einzubeziehen.
Wofür sind diese Nachhaltigkeitschecks wichtig und wie stellen Sie sicher, dass sie nicht an den Interessen der regionalen Akteure vorbei entwickelt werden?
Lina Singelmann: Grundsätzlich wird die Nachhaltigkeitsbewertung als ein Hilfsmittel für die Entscheidungsfindung definiert, mit welchem Aktivitäten in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung gelenkt werden sollen. Von der Bioökonomie wird sich versprochen, dass sie einen Beitrag zu einer ganzheitlich nachhaltigen Entwicklung leistet, allerdings stellt sich dies in der Praxis häufig deutlich schwieriger dar. Hierbei werden Konflikte insbesondere zwischen den verschiedenen Nachhaltigkeitszielen gesehen. Folglich ist es umso wichtiger, die Nachhaltigkeit der Bioökonomie zu bewerten. Denn die Frage stellt sich immer wieder: Sind die biogenen Alternativen den fossilen wirklich überlegen?
Katja Gallinowski: Während des Projekts sind wir kontinuierlich im Austausch mit regionalen Akteuren, um frühzeitig die Bedarfe in der Region zu identifizieren. Außerdem ist im Projekt eine Erprobungsphase vorgesehen. In dieser wollen wir unseren Nachhaltigkeitscheck an drei bis fünf Wertschöpfungssystemen sowie 12 bis 15 Unternehmen testen, welche jeweils von den vier Fokusfeldern des Plant3-Bündnisses ausgehen. Dadurch erhoffen wir uns, stetig Hinweise auf Anpassungsnotwendigkeiten sowie Verbesserungsvorschläge zu erlangen.
Werden wir die Nachhaltigkeitschecks auch im Plant³-Bündnis verwenden können?
Daniel Schiller: Das ist ein Kernanliegen unseres Projekts. Wir wollen die Tools gemeinsam mit den Bündnispartnern und dem Innovationsmanagement entwickeln und erproben. So nehmen wir bei der Entwicklung unmittelbar die regionalen Bedarfe für Nachhaltigkeitschecks auf. Unser Ziel ist es, damit interessierten Akteuren frühzeitig Hinweise geben zu können, wie sie ihre Geschäftsmodelle noch nachhaltiger aufstellen können. Auch das Innovationsmanagement möchten wir hinsichtlich der Optionen für eine Optimierung der Nachhaltigkeit des in der Region ausgelösten Strukturwandels beraten. Die Nachhaltigkeitschecks sind aber nicht exklusiv für unsere Region. Sie werden so gestaltet sein, dass sie auf andere Bioökonomie-Regionen übertragbar sind.
Liebes Team von NaGeWe-Bio, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch!
Infokasten:
Im Mai 2023 ist das Plant3-Projekt „NaGeWe-Bio – Entwicklung und Erprobung ganzheitlicher Nachhaltigkeitschecks für Geschäftsmodelle und Wertschöpfungssysteme in Bioökonomieregionen“ gestartet. Das Vorhaben wird unter der Leitung von Prof. Dr. Daniel Schiller von Lina Singelmann am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeographie der Universität Greifswald bearbeitet und durch das Beratungskontor Rolf Kammann unter Mitarbeit von Katja Gallinowski unterstützt. Ziel ist, ein Instrumentarium für die Nachhaltigkeitsbewertung von Geschäftsmodellen und Wertschöpfungssystemen der Bioökonomie in ökonomischer, ökologischer und sozialer Dimension zu entwickeln und zu erproben.
Laufzeit: 01.05.2023 bis 31.12.2025
Kontakt siehe Projektseite: https://biooekonomie.uni-greifswald.de/project/nagewe-bio/
Nachtrag: Lina Singelmann hat das Projekt verlassen.