© Philipp Müller
Plant³ im Gespräch mit Prof. Dr. Sebastian Günther
Eines der am frühesten begonnenen Plant³-Projekte widmet sich der Erforschung der Moorpflanze „Sonnentau“, ihrer Heilkraft und ihren Anbaumöglichkeiten auf wiedervernässten Moorflächen. Der Sonnentau mag wie ein Spezialfall wirken, verdeutlichtet aber die Potenziale des Heilpflanzenanbaus für den Wandel zu einer nachhaltigen und zukunftsorientierten Wirtschaftsweise in der Bioökonomie-Region Mecklenburg-Vorpommern. Darüber haben wir für Sie mit Prof. Dr. Sebastian Günther gesprochen. Prof. Günther leitet die Arbeitsgruppe „Pharmazeutische Biologie“ an der Universität Greifswald. Zusammen mit internen und externen Kooperationspartner*innen sind Prof. Günther und seine Arbeitsgruppe auf der Suche nach biogenen Quellen für die Entwicklung wirksamer Arzneimittel im Kampf gegen krankheitserregende Keime, und zwar weltweit ebenso wie in Mecklenburg-Vorpommern.
Herr Günther, warum sind biogene Quellen für die Entwicklung wirksamer Arzneimittel im Kampf gegen krankheitserregende Keime so wichtig?
Pharmazie ist lange reine Phytopharmazie gewesen, bei der biogene Quellen genutzt wurden, um Wirkstoffe zu entwickeln. Mit dem Aufkommen der chemischen Synthese ist das in den Hintergrund geraten, denn man konnte auf diesem Weg viele neue Wirkstoffe herstellen, die auf natürlichem Weg nicht herstellbar gewesen wären. Mittlerweile erleben Naturstoffe eine Renaissance. Der Grund dafür ist einfach: Die Naturstoffe werden von Pflanzen und Tieren gebildet, um Fraßfeinde abzuwehren, d.h. um in Interaktion mit anderen zu treten. Dies hat sich in Jahrmillionen von Co-Evolution entwickelt. Bei einem Naturstoff gibt es also eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für eine Wechselwirkung mit Proteinen, Enzymen etc. eines anderen Organismus. Genau das ist es, was ein Arzneimittel schaffen soll.
Was in den letzten Jahren deutlich wurde, ist, dass Naturstoffe auch für die chemische Synthese sehr wichtig sind. Naturstoffe haben dabei zum einen eine Vorbildfunktion dafür, wie man synthetische Wirkstoffe entwickeln kann, und zum anderen kann man auch den natürlichen Wirkstoff selbst weiterentwickeln. Zum Beispiel basieren viele synthetisch hergestellte Lokalanästhetika und Morphine in der Schmerztherapie auf Naturstoffen, die synthetisch verändert wurden, um weniger Nebenwirkungen auszulösen. Und Antibiotika stammen alle aus Pilzen oder Bakterien, wenn auch manchmal in modifizierter Form. Aber wenn man sich die Stereochemie anschaut, d.h. wie unterschiedliche Atome in einem Molekül räumlich zueinanderstehen und miteinander wechselwirken, dann sieht man, dass die Vielfalt der Natur sich nicht herstellen lässt.
Übrigens sind viele rezeptfrei in den Apotheken erhältliche Mittel naturstoffbasiert. Die evidenzbasierte Phytopharmazie hat in den letzten zwanzig Jahren viele Abwehrkämpfe gegen den Vorwurf der Wirkungslosigkeit geführt. Inzwischen sind die Präparate in der Apotheke großteils sehr gut mit Doppelblindstudien geprüft und ihre Wirkung ist nachgewiesen, vor allem im Bereich der Atemwegs- und Harnwegsinfektionen. Das spiegelt sich in den aktuellen ärztlichen Leitlinien.
Welcher Anteil der in Deutschland produzierten Arzneimittel basiert auf Arzneipflanzen und woher stammen diese?
Circa die Hälfte der in Deutschland produzierten Arzneimittel basiert auf biogenen Quellen. Der Hauptanbau von Heilpflanzen in Deutschland erfolgt in den vier Bundesländern Thüringen, Hessen, Bayern und Niedersachsen. Aber von den bei der Arzneimittelherstellung in Deutschland verwendeten Pflanzen sind circa 90% importiert, wobei circa 70% aus Wildsammlungen stammen.
Welche Probleme gibt es bei der Beschaffung dieser Arzneipflanzen?
Die Arzneimittelhersteller stehen vor dem Grundproblem, Heilpflanzen in ausreichender Anzahl und Qualität zu bekommen. Das hat mehrere Gründe: Die verfügbaren Heilpflanzen erreichen oftmals nicht mehr die Qualität der Ausgangsstoffe, die gebraucht werden. Es gibt eine ganz strikte Analytik für Rückstände, wie Pyrrolizidinalkaloide, Schwermetalle, Pestizide etc. Außerdem steht der Heilpflanzenanbau in vielen Ländern in Konkurrenz zum Anbau von Nahrungsmittelpflanzen. Und dort, wo sie nicht angebaut, sondern wild gesammelt werden, führt dies dazu, dass viele Pflanzen wegen der großen Nachfrage in ihrem Vorkommen bedroht sind.
In Bezug auf Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Biodiversität ist diese Situation heutzutage eigentlich nicht mehr tragbar. Die Arzneimittelhersteller wissen, dass sie nicht auf ihren Websites mit Qualität, Nachhaltigkeit und Naturnähe werben und gleichzeitig ihre Pflanzen aus Ländern bekommen können, wo Umweltschutz, Biodiversität oder grundlegende unverhandelbare Standards wie Demokratie keine Rolle spielen.
Wir beobachten seit einiger Zeit bei den Arzneimittelherstellern ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass sich etwas verändern sollte und dass es vernünftig wäre, manche Heilpflanzen wieder in Deutschland anzubauen. Das ist bisher ein monetäres Problem gewesen. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat aber gezeigt, wie weit und wie schwierig die internationalen Lieferketten sind und dass es leicht zu Lieferengpässen kommen kann.
Welche Bedeutung hat der Arzneipflanzenanbau für MV und welche Perspektive sehen Sie hier?
Bisher ist Mecklenburg-Vorpommern kein starker Standort für den Arzneipflanzenanbau in Deutschland. Das kann und sollte sich ändern. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es Standorte, die gut geeignet sind und auch von der Industrie so eingeschätzt werden. Phytopharmaka werden zwar nicht „bio“ hergestellt und man kann es nicht so auf das Etikett schreiben, aber die Voraussetzungen sind eigentlich noch höher als bei „bio“. Das Problem ist, dass dort, wo in Deutschland Arzneipflanzen angebaut werden, es schnell passieren kann, dass vom Nachbarfeld Pestizide herüberwehen und die Ernte nicht mehr für Arzneimittel verwendet werden kann. Und hier bietet sich MV an: MV ist ein Flächenland mit viel naturgeschütztem Raum. Hier ließen sich Flächen finden, die relativ unbeeinflusst von Nachbarflächen wären. Landwirte mit einer großen Fläche könnten zum Beispiel zentral in ihrer Fläche Heilpflanzen anbauen. Oder man nutzt die beginnende Wiedervernässung der Moore, denn wenn diese Flächen wieder Naturraum bzw. naturnahe Räume sind, dann könnten die Randgebiete für Heilpflanzenanbau genutzt werden.
Eine Rolle spielt auch die Klimaprognose. Hier in MV wird es wärmer und die Starkwetterereignisse nehmen zu, dennoch ist die Prognose günstiger als in den bisherigen Anbaugebieten in Süddeutschland. Zum Beispiel leidet der Minze-Anbau im Thüringer Becken extrem unter Trockenheit.
Wir haben also die Natur, die Fläche und eine relativ günstige Klimaprognose. Außerdem gibt es interessierte Landwirt*innen, die im Bereich des ökologischen Anbaus gerne etwas ausprobieren wollen, wie wir bei den Vorbereitungen des Runden Tischs „Potenziale des Heilpflanzenanbaus im nordöstlichen MV“ am 1.2.2022 gesehen haben. Und der Anbau von Arznei- und Gewürzpflanzen passt in die Grundidee vom „Gesundheitsland MV“.
Wie und warum engagieren Sie sich in diesem Bereich?
Grundanliegen der pharmazeutischen Biologie ist zu fragen: wo finde ich Ressourcen, die noch nicht untersucht worden sind, für eine ganz bestimmte Indikation? Wir suchen und untersuchen biogene Ressourcen auf ihre Wirkung gegen Bakterien, Pilze und auch gegen Viren.
Der Sonnentau ist für uns ein interessanter Sonderfall: Es handelt sich um eine heimische Pflanze, die genau in dem Bereich zu wirken scheint, der uns in der Forschung interessiert, und wurde bis Mitte des 20. Jahrhunderts tatsächlich so angewandt. Im 18. Und 19. Jahrhundert haben die Menschen ihn in den Mooren gesammelt, um ihn gegen Atemwegsinfektionen einzusetzen, bis er letztlich weggesammelt war, noch dazu, als die Moorflächen wegen der Trockenlegungen zurückgingen. Im DDR-Arzneibuch stand er noch bis 1950 und wurde dann trotz seiner bekannten Wirkung gestrichen, weil er so gut wie nicht mehr vorhanden war.
Durch Paludikultur wird Sonnentau jetzt wieder verfügbar und unsere Studien zeigen, dass er in durchaus erreichbarer Konzentration über eine Wirkung gegen multiresistente Keime verfügt. Sonnentau ist also eine Pflanze, deren Wirkung bekannt war, aber jahrelang nicht beforscht wurde, weil sie nicht verfügbar war – jetzt geht das wieder! Diese Kombination findet man relativ selten und interessiert uns daher besonders. Wir konnten übrigens zeigen, dass die hiesige Spezies besser wirksam ist als Importware. Bisher konnte man Sonnentau aus Madagaskar erhalten, der dort aus dem Moor wild gesammelt wird, aber nicht die gleiche Qualität erreicht.
Unsere Erkenntnisse zum Sonnentau möchten wir nicht nur wissenschaftlich nutzen. Wir sollten als Uni ins Land hineinstrahlen. Die pharmazeutische Biologie kann mit der Erforschung und Aufbereitung des Wissens zum Sonnentau dazu beitragen, und auch mit Erkenntnissen zu anderen, klassischen Arzneipflanzen. Für die Anbau- und Verwendungspraxis vielversprechend sind Klassiker wie Pfefferminze, Kamille, Melisse, Baldrian, die hier gut wachsen würden. Sie sind eigentlich „ausgeforscht“ und ihre Wirkung ist bereits untersucht und erwiesen.
Wir beobachten bei den Pharmafirmen ein wachsendes Interesse an regional angebauten Arzneipflanzen. Diese Umstellung ist ein Prozess, der von uns unterstützt werden muss. Da kann die Universität sich einbringen.
Herr Günther, wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch!
Forschungsprojekte der Arbeitsgruppe „Pharmazeutische Biologie"
Zu den aktuellen Forschungsprojekten zählen unter anderem das Plant³-FuE-Projekt „Sonnentau aus MV – mit synergistischer Wirkung gegen multiresistente Keime (SaMV)“ zum im Interview angesprochenen Sonnentau. Im Zusammenhang mit der Plant³-Förderung durch das BMBF konnte als innovationsfördernde Infrastruktur eine klimatisierte mobile Pflanzenforschungs- und Pflanzenproduktionskammer und eine Hydroponik-Pilotanlage beschafft werden. Zusammen mit dem Innovations- und Bildungszentrum Hohen Luckow e.V. (IBZ) untersucht die Arbeitsgruppe im „Innovationsverbund Heilpflanzen in MV“ neue Anbautechniken für Heilpflanzen, die zuverlässig die gleiche Qualität liefern. Dies wird intensiviert am Modellstandort „RüBio“ im „Innovationsraum Bioökonomie auf Marinen Standorten“.
Kontakt
Prof. Dr. Sebastian Günther
Institut für Pharmazie/LPG Pharmazeutische Biologie
Friedrich-Ludwig-Jahn-Straße 17
17489 Greifswald
Mail: sebastian.guenther@uni-greifswald.de
Web: Pharmazeutische Biologie und Sonnentau aus M-V