Es geht nicht nur um Neubau. Lokale Best-Practice-Beispiele zum nachhaltigen Bauen und Sanieren in Greifswald (7.12.2023)
Wann ist ein Neubau notwendig und wie können die bereits vorhandenen Gebäude schrittweise nachhaltig verbessert werden? Während der von Ralf Lammertz, als Architekt für die Projektgesellschaft Stadt Greifswald mbH tätig, geführten Exkursion konnten sich die Teilnehmenden an drei Bauorten in der Stadt über die Greifswalder Vorgehensweise informieren. Am sanierungsbedürftigen Gebäude in der Gaußstraße zeigte sich, wie Kompromisse zwischen Barrierefreiheit, Wohnkomfort und Ökologie gefunden werden können: Bäder und Balkons bleiben klein, Aufzüge werden ergänzt, nach Norden ausgerichtete Erdgeschossräume werden zu Abstellräumen umgewandelt, eine Photovoltaikanlage wird über ein Mieterstrommodel für die Mieter attraktiv, Schwalbennester kommen dazu, Bäume werden als Schallschutzwälle und zur Schaffung von Kleinzonen genutzt.
Hingegen wurden beim 70er-Jahre-Plattenbau in der Stilower Wende und im Ostseeviertel / Ryckseite die Entscheidungen zugunsten von Abriss und Neubau getroffen. Ein Schwachpunkt des bisherigen Gebäudekomplexes im Ostseeviertel war, dass das Wasser im Außenbereich nicht versickern konnte, sondern in den Ryck geleitet wurde, während gleichzeitig die Bepflanzung vertrocknete. Nun soll ein Schwammstadtprinzip umgesetzt werden.
Diese Aspekte vertiefte Ralf Lammertz im weiteren Verlauf des Themennachmittags. Er konzentrierte sich auf den Massenwohnungsbau und betonte die Verwendung regionaler nachwachsender Rohstoffe, zeitgemäße Heiz- und Energiekonzepte, neue Mobilitätsvorhaben für Carsharing, Fahrräder, E-bikes, Lastenräder und E-Autos, das Schwammstadtprinzip und die Notwendigkeit von Kompromissen, um preislich konkurrenzfähig zu sein. Zusätzlich zu den während der Exkursion gezeigten Beispielen skizzierte er auch das Neubauvorhaben in der Makarenkostraße, bei dessen 2- bis 3-geschossigen Hofhäusern Paludimaterialien eingesetzt werden sollen.
Ganz anschaulich wurde es auch bei Dirk Niehaus, Wirtschaftsingenieur und Sachverständiger für ökologisches Bauen sowie treibende Kraft hinter der Ausstellung FAKTOR WOHNEN. Die von ihm vorgestellten Baumaterialien aus Hanf, Schilf, Stroh und Kork haben alle eine bauaufsichtliche Zulassung. Bei Brandtests zeigt sich, dass Zellulose und Holzweichfaser einen hohen Feuerwiderstand aufweisen, der sogar größer ist als bei herkömmlichen Materialien. Auch bauphysikalisch sind sie als Wärmedämmstoffe von Vorteil. Denn bei nachwachsenden Rohstoffen ist die kapillare Leitfähigkeit sehr gut und die entsprechend schnelle und großflächige Verteilung der Feuchtigkeit mit anschließendem Verdunsten verhindert Feuchtigkeitsschäden.
Mit Blick auf die Stadt Greifswald beschrieb Martin Stiller, Ansprechperson für Nachhaltiges Bauen im Immobilienverwaltungsamt der Stadt Greifswald, die Entwicklungen seit die Bürgerschaft 2009 eine 30%-ige Reduktion des Energiebedarfs gefordert hat. Die daraufhin entwickelte Richtlinie umfasst die drei Nachhaltigkeitssäulen Ökonomie, Ökologie und Soziales und strebt Zertifizierungen durch die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) an. Das erste hiesige Pilotprojekt mit einer DGNB-Gold-Zertifizierung ist die Käthe-Kollwitz-Grundschule. Das zweite Pilotprojekt ist die Gesamtschule Erwin Fischer mit einer DGNB-Silber-Zertifizierung. Dazu gehört ein nachhaltiges Materialkonzept, beispielsweise in Hinblick auf die Innenraumlufthygiene und die Qualität der Bauausführung. Zu den soziokulturellen Qualitäten zählen ein Atrium und eine Öffnung hin zum Wohnquartier. Die Zertifizierungen sind zwar kostenaufwendig, verdeutlichen aber den eigenen Anspruch und das qualitätsvolle Vorgehen nach außen.
Andreas Skrypietz von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt stellte in seinem Beitrag die Frage in den Mittelpunkt, wie Ein- und Zweifamilienhausbesitzer davon überzeugt werden können, nachhaltig zu sanieren. Da Ein- und Zweifamilienhäuser 64% der Energie des Gesamtwohngebäudebestandes verbrauchen, können sie einen großen Beitrag leisten. So sollten bei einer Sanierung möglichst recyclingfähige Konstruktionen, wie Fassaden aus alten Eichenbalken, Schaumglasschotter als Dämmung, gebrauchte Fliesen, etc. genutzt und gleichzeitig darauf geachtet werden, Werkstoffe nicht zu verkleben, damit sie später getrennt voneinander weiterverwendet werden können. Wenn Bauherren die in den folgenden Jahren eintretende Kostenersparnis mitbedenken, brauchen sie bei Angeboten mit nachhaltigen Materialien nicht mehr nervös werden.
Die abschließende Diskussion verdeutlichte einmal mehr, dass zum einen Argumentationshilfen für regionale Baustoffe für Personen, die damit noch nicht vertraut sind, benötigt werden, und dass zum anderen öffentliche Ausschreibungen stärker auf Nachhaltigkeit ausgerichtet werden müssen.
Was können wir als Plant³-Bündnis tun? Wir können uns für eine bessere Sichtbarkeit engagieren, um neue Perspektiven in die Öffentlichkeit und zu den Landwirten zu tragen.
Wir bedanken uns bei allen Teilnehmenden und den Vortragenden für die Beiträge und die lebhafte Diskussion!